Ich möchte, dass etwas erhalten bleibt.

Das ist meine Motivation

Ingrid Huber, Glaskunst Huber

Wie viele Krüge im Regal stehen, das weiß Ingrid Huber nicht. Es sind zu viele. Da gibt es die, von denen König Ludwig lächelt und die, auf denen stolze Löwen neben dem bayerischen Wappen posieren und die, auf denen der Marienplatz mit der Frauenkirche zu sehen ist. Fein säuberlich stehen sie nebeneinander. Sie sind farbig und aus Porzellan oder aus grauem Steingut mit blauer Verzierung. Klein oder groß, schmal oder bauchig, mit oder ohne Zinndeckel. „Glaskunst Huber“ heißt ihr Geschäft mit dem leuchtend dunkelrot-goldenen Schriftzug auf den großen Schaufenstern.

Für Ingrid Huber ist es eine Insel, ein Dreieck, zwischen dem Mittleren Ring und der Rosenheimer Straße, von Autobahnen umgeben. Die Liebe hat sie von Obergiesing nach Ramersdorf gebracht. Ihren Mann hat sie beim Tanzkurs kennengelernt, beim Foxtrott und Walzer. Sie haben 1972 geheiratet, seitdem leben und arbeiten sie zusammen. Die Krüge kamen später, erst haben sie die Konditorei von ihren Schwiegereltern übernommen. „Ich habe nie viel gebacken, sondern lieber gekocht. Mein Ehemann und ich sind ins kalte Wasser gesprungen“, sagt sie und lacht bei den Erinnerungen. Ihr Ehemann Friedrich Huber ist gelernter Konditor, hat in der Backstube gestanden, Kuchen verziert, Pralinen gegossen und Teig geknetet. Frau Huber war im Verkauf, hat bedient und beraten. „Ich liebe den Umgang mit unseren Kunden“, sagt sie. Das hat sich bis heute nicht geändert. 

„Ich liebe den Umgang mit unseren Kund*innen, das hat sich bis heute nicht geändert."

Die Klassiker der Konditorei waren die Zwetschgenbavesen. Das kleine Gebäck mit Zimt und Zucker und einer fruchtigen Pflaumenfüllung – eine fast vergessene Spezialität aus Bayern und Böhmen. Jedes Jahr an Mariä Himmelfahrt strömten die Besucher*innen der Wallfahrtskirche „Maria Ramersdorf“ in die Konditorei, manchmal mussten sie sogar in langen Schlangen warten, bis die Süßspeisen frisch aus der Backstube kamen. Die Zwetschgenbavesen waren etwas Besonderes, sie gab es nur einmal im Jahr, stets vom 15. August bis zum 14. September. „Frauendreißiger und Zwetschgenbavesen haben einfach zam gehört. Bis heute sprechen mich die Leute auf sie an“, sagt Frau Huber. „Ich möchte nicht sagen, dass die berühmt waren, aber sehr bekannt“, sagt sie. 

Frau Huber ist bescheiden. Bodenständig. Ehrlich. „Die Konditorei war harte Arbeit“, sagt sie. Jeden Tag arbeiteten ihr Mann und sie zwölf Stunden. An die Zubereitung der Zwetschgenbavesen denkt sie nicht mehr gern zurück. Das Mus würde am besten schmecken, wenn es in einem großen Kupferkessel aus gedörrten Zwetschgen aus Kalifornien zusammen mit Zucker und Arak gemacht werde. Dann müssten die Bavesenwecken geschnitten, bestrichen und am Ende in Pfannkuchenteig ausgebacken werden. „Mit einfachem Toastbrot, wie es in manchen Rezepten steht, hat das nichts zu tun“, sagt Huber. 

Als die zwei Kinder kamen, wurde der Betrieb der Konditorei dem Ehepaar zu viel. Herr Huber hat umgelernt: Statt Torten zu backen, machte er nun eine Ausbildung zum Glasmaler. Nebenher ging er jobben in einer Eisdiele in Neuhausen. Die Konditorei hatten sie verpachtet. Diese Zeit war eine schwierige, aber auch eine schöne. In diesen Jahren, den wohl anstrengendsten, hätten sie gemerkt, wer die echten Freund*innen sind. „Das sind die, die bleiben, das ganze Leben lang!“

Das Café ging unter fremder Leitung pleite, deswegen übernahm das Ehepaar Huber wieder den Laden. Es war keine reine Konditorei mehr, sondern gleichzeitig ein Geschäft für Glaskunst. Friedrich Huber bemalte und bedruckte Krüge und brachte nebenher seiner Frau bei, wie das ging. Zusammen malten sie stundenlang mit Glas- und Porzellanfarben. Während ihr Ehemann gewissenhaft, akkurat und detailliert Naturbilder malte, ließ Frau Huber ihrer Fantasie freien Lauf. Am liebsten pinselte sie Käfer auf die Krüge. Keine naturgetreuen, sondern Fabelwesen, eine Kombination von Maikäfer und Marienkäfer, eine Art Insektenwolpertinger.

„Erst kommt ein Träger auf das Blatt, dann kann man die Verzierungen auf den Krug ziehen“

Frau Hubers Leben hat sich oft gewandelt, wie das Viertel immer wieder neu geformt. Manchmal gibt sich die Ramersdorferin der Nostalgie hin. „Die Alten sterben weg und viele Junge interessieren sich nicht mehr“, sagt sie. Frau Huber ist die Großmutter von vier Enkeln, da kann sie es gut beobachten. „Mein Enkel hatte Heimatkunde nur in der dritten Klasse, dabei ist es wichtig, dass ich mein Umfeld kenne. Ich muss doch wissen, was da los ist“, sagt sie. 

Das alte Handwerk darf nicht verloren gehen. Frau Huber zieht einen Druckbogen aus einer Kiste raus, ein Papier auf dem kunstvolle Schnörkel zu sehen sind. Ränder für die Verzierung der Porzellankrüge. „Erst kommt ein Träger auf das Blatt, dann kann man sie auf den Krug ziehen“, sagt Frau Huber. Seit fünfzehn Jahren hebt sie das Papier auf, benutzen wird sie den Bogen nicht. Lieber zeigt sie ihn den Kund*innen, die kommen, Interesse haben und sich das Glaskunst-Handwerk nicht vorstellen können. 

„Bei den jüngeren Leuten, sind die Tonkrüge mit der Salzglasur wieder im Trend“

Die Tür schwingt auf, Glocken kündigen die Kundin an. Eine junge Frau, die für ihren Freund ein besonderes Geburtstagsgeschenk sucht: einen personalisierten Krug für den Biergarten. Frau Huber führt sie zum Regal, zeigt ihr die große Auswahl und erklärt welche Krüge es gibt: mit Deckel und ohne, aus Glas, Porzellan oder Steingut, bedruckt oder graviert. „Bei den jüngeren Leuten, sind die Tonkrüge mit der Salzglasur wieder im Trend“, sagt Frau Huber und reicht der Kundin einen zum Anschauen aus dem Regal. Es sind die Kund*innen, die Gespräche, die Beratung, die Frau Huber liebt. Ihnen erzählt sie von dem Handwerk, von Ramersdorf, von Traditionen, von den Geschichten von früher. „Ich will, dass etwas erhalten bleibt. Das ist meine Motivation“, sagt Frau Huber.

Glaskunst Huber
Aribonenstraße 14

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Das Referat für Arbeit und Wirtschaft unterstützt BIWAQ durch das Münchner Besch ftigungs- und Qualifizierungsprogramm (MBQ).