Die ganze Welt trifft sich in

Ramersdorf

Chantal Amenikou, Shilo Afro Shop

Von einem Tag auf den anderen sind Jugendliche aufgetaucht. Erst kamen nur ein paar Vereinzelte, dann wurden es täglich mehr. „Das Verblüffende war, dass sie alle das gleiche Produkt kauften“, sagt Chantal Amenikou. Sie betreibt den neueröffneten Afro-Shop in Ramersdorf. „Alle wollten Fufu-Pulver.“ Das ist ein Mehl aus der Maniokwurzel, das zusammen mit Kochbananen zu einem Nationalgericht aus der westafrikanischen Küche zubereitet wird. Das Rätsel von der plötzlichen Fufu-Nachfrage hat Amenikou mittlerweile gelöst: ein Video ging auf TikTok viral. „Ich habe mich gefreut, weil Fufu mit Erdnusssoße mein Lieblingsgericht ist“, sagt sie.

Vor mehr als 20 Jahren ist Chantal Amenikou von Togo nach Deutschland gezogen. Nach ihrem Abitur fing sie an, Politik und Wirtschaft zu studieren, um im Bereich der internationalen Beziehungen zu arbeiten. Sie wollte die europäische Mentalität kennenlernen, wirtschaftliche Zusammenhänge analysieren, politische Lösungen für die Umwelt und Gesellschaft entwickeln und später Afrika mit ihrer Arbeit helfen. Doch gerade als ihr Studium angefangen hat, kam ihr das Leben dazwischen. Besser gesagt, das Leben ihrer ältesten Tochter. Amenikou gründete eine Familie. Heute ist sie fünffache Mutter. Ihr jüngstes Kind ist vier, das älteste 19.

„Meine Töchter sind in München zur Welt gekommen und ich habe mein halbes Leben in dieser Stadt verbracht. Mein Lebensmittelpunkt ist hier“, sagt Amenikou. Sie ist gut vernetzt, hat viele Freund*innen und Bekannte aus afrikanischen Ländern. Nicht alle würden so glücklich sein wie sie. „Manche von ihnen sind mit ihrem Kopf in Afrika“, sagt Amenikou. Ihr Herz wäre nie in Deutschland angekommen, hätte nie in München geschlagen. Nach der Rente würden viele zurück in ihr Herkunftsland ziehen, doch wenn sie dort wären, dann hätte sich alles verändert, es wäre nicht mehr so, wie es damals war, als sie es verlassen haben. Sie hätten keinen Ort, an dem sie sie ganz sein könnten. Mit ihnen hat Amenikou Mitleid: „Ein Leben lang zerrissen zu sein, das ist nicht gut.“

„Meine Töchter sind in München zur Welt gekommen und ich habe mein halbes Leben in dieser Stadt verbracht. Mein Lebensmittelpunkt ist hier“

Chantal Amenikou ist voller Energie, voller Tatendrang. Bevor sie sich mit dem Afro-Shop selbstständig machte, hat sie in einem Büro gearbeitet. Sie hat organisiert, geplant, gemanagt. Als vierfache Mutter ist sie darin ein geübter Profi. Aber erfüllt hat sie die Büroarbeit nicht, sie fühlte sich unterfordert. Amenikou träumte von einer neuen Aufgabe, bei der sie ihre Fähigkeiten nutzen und sich selbst einbringen kann. Das hat sie nun gefunden. Vor einem Jahr eröffnete sie ihr Geschäft in der Rosenheimer Straße. „An Zufall glaube ich nicht, sondern an Schicksal. Mein Afro-Shop ist eine göttliche Fügung“, sagt die 43-Jährige. 

Sie will einen Ort schaffen, an dem Afro-Deutsche ihre Kultur erfahren, Zutaten kaufen und einen Teil ihrer Identität wiederfinden können. „Ich bin mit einer Vision nach Ramersdorf gekommen“, sagt Amenikou. In München hätte es zwar schon ein Angebot gegeben, doch es wäre sehr begrenzt und würde sich rund um den Hauptbahnhof zentrieren. „In London, Paris und Brüssel gibt es Afro-Shops, so groß wie Discounter. In den USA sowieso“, sagt Amenikou. Ein riesiges Sortiment von Lebensmitteln, Feinkost und Kosmetik. Eine Inspiration für ihr eigenes Vorhaben. Und das ist noch nicht genug: Amenikou träumt von einem Restaurant, einem Friseursalon speziell für Afro-Haare und mehr Filialen mit ihrem Konzept. 

„Ich bin mit einer Vision nach Ramersdorf gekommen“

In dem kleinen Laden in der Rosenheimer Straße gibt es viel zu entdecken. Ihr Sortiment reicht von grünen und gelben Kochbananen, über Okraschoten, zu Couscous und Konserven mit Palmnussfrucht. Zwei Kühltruhen voller Fisch, Shrimps, Fleisch und Kräutern. Daneben eine Auswahl von Gewürzen, ein Korb mit süßen und einer mit salzigen Bananenchips. Ein Schrank gefüllt mit Malzbier, Palmenwein und knalligen Softgetränken. Im Schaufenster sind Taschen ausgestellt, Perücken und Stoffe mit bunten Mustern in blau, gelb, grün und rot. Hinter der Kasse eine Ecke nur mit Kosmetik: Hair Extensions und Pflegeprodukte für Afro-Haare, wie Cremes und Sprays. 

Die Produkte, die Amenikou vorrätig hat, sind so unterschiedlich, wie die Menschen, die kommen, um sie zu kaufen. Ihre Kund*innen kommen aus Togo, Ghana und Tansania, wohnen in Ramersdorf, Trudering und Haidhausen. Sie kommen aber auch aus Japan, Deutschland und Kroatien. Aus Frankreich, den USA und dem Iran. Die Welt sei mittlerweile so verwoben, so eng verknüpft, dass es ein Geschäft für eine Nation, eine Kultur, einen Kontinent gar nicht mehr geben könnte. Und das wäre auch gut so: „Die ganze Welt trifft sich in Ramersdorf“, sagt Chantal Amenikou und lacht. Sie breitet die Hände aus, zeigt von den Bananenchips zu den Okraschoten: „Bei mir sind alle willkommen“.

Shilo Afro Shop
Rosenheimer Str. 159

Das Projekt work&act 2.0 wird im Rahmen des ESF-Bundesprogramms „Bildung, Wirtschaft, Arbeit im Quartier – BIWAQ“ durch das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) und den Europäischen

Sozialfonds gefördert. BIWAQ ist ein Partnerprogramm des St dtebauf rderprogramms „Sozialer Zusammenhalt“, das mit Mitteln des Bundes, des Landes und der Landeshauptstadt München finanziert und umgesetzt wird.

Das Referat für Arbeit und Wirtschaft unterstützt BIWAQ durch das Münchner Besch ftigungs- und Qualifizierungsprogramm (MBQ).